source unknown
“Ich bin in eine Krise gefallen in der Zeit meines Aufenthalts, eine Krise, die mich flüssiger zurückließ. Ich hörte auf, auf die Ereignisse einwirken zu wollen, dadurch wurde mir unerwartet ein Zustand des Schwebens gesichert. Ich gab es auf, begreifen zu wollen, und hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, da gibt es nichts, was ich verstehen kann. Ich, die immer unbedingt wissen wollte, die vergessen hatte und sich jetzt erinnerte. So war ich gezwungen Beziehungsformen herzustellen, die nicht über Wissen und Verstehen funktionieren, sondern bevorzugt über Erscheinungen in einer undarstellbaren, unverfügbaren und unkontrollierbaren Welt. Der Schamane sagte: ‘Wir kennen uns schon ewig, und jetzt treffen zwei Welten aufeinander, und man hört nur die Stimmen. Man sieht nichts, es gibt keine Bilder. Nur einen Ton: zuerst ein Gemurmel und dann ein Singen.’ Doch wie eine Welt begreifen ohne Bilder? Ohne ein Nachbild? Ohne Übersetzung?”
— Ines Doujak in Kultur und Gespenster, Sommer 2010
Seit diesem Sommer mache ich eine schamanische Ausbildung. Es ist nicht wirklich einfach zu erklären, was genau das ist und wie jemand auf die Idee kommt soetwas zu machen. Der Schamanismus kam zu mir wie die Jungfrau zum Kinde, plötzlich stand er im Raum und in der Auseinandersetzung mit dem Unumgehbaren, das wohl immer da war und nur auf eine Lücke in meiner Wahrnehmungsmauer gewartet hatte, musste ich feststellen, dass das Leben leichter ist, wenn man beginnt sich zu fragen, warum man sich Fragen stellt und weniger darauf aus ist, tatsächlich Antworten zu finden. Insofern hat mein Schamanismus weniger damit zu tun vollgedröhnt und nackt durch irgendwelche südamerikanischen Urwälder zu toben (ohne damit traditionelle Praktiken solcher und ähnlicher Art diskreditieren zu wollen, denn selbstverständlich hat es AUCH damit zu tun, bzw. mit dem, was man sich landläufig unter “Schamanismus” vorstellt – ohne darauf an dieser Stelle genauer eingehen zu wollen), sondern vielmehr im Versuch durch die Nicht-Suche Welt zu verstehen.
Das Zitat von Ines Doujak, welches ich bei meiner Lektüre der vorletzten Ausgabe der Hamburger Buch/Zeitschrift Kultur und Gespenster entdeckte, bringt es ziemlich genau auf den Punkt: Ich gab es auf, begreifen zu wollen, und hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, da gibt es nichts, was ich verstehen kann. Ich, die immer unbedingt wissen wollte, die vergessen hatte und sich jetzt erinnerte. So war ich gezwungen Beziehungsformen herzustellen, die nicht über Wissen und Verstehen funktionieren, sondern bevorzugt über Erscheinungen in einer undarstellbaren, unverfügbaren und unkontrollierbaren Welt. Mit dieser Aussage verweist Doujak auf die Überlegungen Giambattista Vicos, demnach die cartesianische Logik, die Untersuchungen auf naturwissenschaftlichem Gebiet ermögliche, zur Erkenntnisgewinnung um Imagination, Intuition und Erinnerung erweitert werden müsse, da diese zentral seien für Lernen, komplexes Denken und damit für die Wahrheitsfindung. Vico war entschieden dafür, beide Methoden – also die rationale und die imaginative – zu kombinieren. Basis seiner Überlegungen ist eine für westlich geprägte Menschen recht ungewöhnliche Auffassung von “Verstehen”, bzw. “Nicht-Verstehen”: for when man understands he extends his mind and takes in the things, but when he does not understand he makes the things out of himself and becomes them by transforming himself into them (The New Science). Dieses In-etwas-anderes-Transformieren ist nach unserem wissenschaftlichem Verständnis nicht begreifbar, dadurch zugleich auch nicht möglich, bzw. nicht existent. Oder wie ist das Verschmelzen mit einer Pflanze denkbar? Ja, eben nicht. Aber nur weil es nicht denkbar ist, ist es dann zugleich nicht existent?
An dieser Stelle ist die Frage berechtigt, was es einem denn nun bringt, fühlen zu können, mit einer Pflanze zu verschmelzen oder sich in ein Tier zu verwandeln oder zwischen verschiedenen Realitätsebenen zu reisen. Neben einer Vielzahl möglicher unterschiedlichst gestalteter individueller Erfahrungen ist mir eine am zentralsten und auch am fruchtbarsten. Es ist das Erlernen eines Zustands, den ich mit Demut beschreiben möchte. Der Demütige erkennt und akzeptiert aus freien Stücken, dass es etwas für ihn Unerreichbares, Höheres gibt heißt es bei Wikipedia. Und eben jenes “Unerreichbare, Höhere”, mag es nun Gott, Allah oder Hänschen Schmidt heißen oder auch etwas abstrakter, einfach nur SINN, ist nicht zu verstehen. Es IST einfach und es ist begrenzt und grenzenlos zugleich und durch das ALLES ist es zugleich auch ein NICHTS. Und das anzunehmen ist für das westlich geprägte Leistungssubjekt, das sich in der imaginierten Grenzenlosigkeit im Hamsterrad zu Tode strampelt, ein schier unmögliches Unterfangen. Die Ordnung, auf der unsere Welt basiert, die danach strebt, alles bis ins letzte Detail, versteh-, erleb- und konsumierbar zu machen ist mit der einen großen unbegreiflichen Ordnung nicht vereinbar. Der Schamanismus weiß das und schaut entspannt, zurückgelehnt der Welt beim pubertierenden Kampf zu, ein Kampf, der seit Beginn der Menschheit tobt, basierend auf der immerwährenden Frage nach dem WARUM und dem Drang, eine zufriedenstellende Antwort auf diese zu finden.
Aber ist allein das Schreiben dieses Texte nichts schon wieder ein Versuch, eine Antwort zu geben auf eine unbeantwortbare Frage? Sucht Claude Lévi-Strauß nicht eigentlich schon wieder einen Ausweg, indem er in Das wilde Denken den Schamanismus rehabilitiert und gleichberechtigt neben die Psychoanalyse als anerkannter wissenschaftlicher Disziplin positioniert? Möglicherweise. Ebenso spannend wie die Nicht-Beantwortung dieser Fragen ist die Frage danach, wie es überhaupt dazu kommt diese Fragen zu stellen, einem Denkspiel, indem sich möglicherweise eine wichtige, wenn schon nicht DIE Antwort versteckt. Doch das ist ein anderes Thema für einen anderen Beitrag…