Gefrustete Berlin Biennale Besucher sammelten sich heute im Haus der Kulturen der Welt um die vorletzte Gelegenheit die Animismus Ausstellung zu sehen zu nutzen. Morgen ist dann die letzte Chance einer der tiefgründigsten, best recherchiertesten und spannendsten Ausstellungen, die ich seit langem gesehen habe, zu besuchen. Worum geht es bei dem Langzeitprojekt, das sich als Revision der Moderne vorstellt? Anselm Franke untersucht gemeinsam mit Irene Albers veränderliche Machtverhältnisse zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Natur und Kultur, zwischen Mensch und Ding, mit anderen Worten: Sie spüren den Dualismen nach, die unsere kulturelle Ordnung begründen. Es gehört ein bisschen Willen dazu, sich den Displays zu widmen, die Texte zu lesen, die Videos anzuschauen. Es schnellen keine Bewusstseinskeulen auf den Besucher nieder, keine aufmerksamkeitserheischenden Plakate, keine überästhetisierten Exponate. Es ist vielmehr eine Ausstellung, die sich im Stillen erschließt, eben so, wie es sich Hanno Rauterberg möglicherweise von einer Berlin Biennale wünscht (und ich auch):
In der Kunst geht es nicht um eine Anleitung zum richtigen Leben, sondern um die Erfahrung des Zweifels. Die Kunst geht nicht auf in der Wirklichkeit, wie dies die Biennale fordert. Vielmehr liegt ihre Stärke in dem Abstand, den sie erlaubt, nicht zuletzt zu den eigenen Kategorien des Richtigen und Falschen. (…) Denn erst, wenn sich die Kunst von der üblichen Verantwortung löst, öffnet sie den Betrachtern einen Raum, in dem sich die eigene Verantwortlichkeit neu begreifen lässt. (…) Kunst ist kein Einsatzkommando und kein Breitbandtherapeutikum. Ihre Qualitäten zeigen sich zumeist im Stillen, in einem Moment des Innehaltens, der Verblüffung, vielleicht auch der Durchdringung.
Nach drei Stunden trotz überfüllten Raums fühlte ich mich bestärkt in meinem Weg und in meinem Gefühl, dass sich die Welt in einem Umstrukturierungsprozess befindet (tut sie das nicht immer?). In der aktuellen ZEIT ist vom Europa-Manifest die Rede, ein neu erstarkter Feminismus wird nicht müde die Geschlechterfrage zu diskutieren, während an anderer Stelle die Ordnung selbst in Frage gestellt wird. Und überall taucht Foucault auf und mit ihm die Schwierigkeit innerhalb einer Ordnung andere “Ordnungen” zu denken, was sich besonders in der Lektüre Elisabeth von Samsonows Anti-Elektra: Totemismus und Schizogamie zeigt. Wie erklärt man etwas, das sich in herrschenden Kategorien nicht erklären lässt? Wie ist eine Weiblichkeit denkbar, die sich nicht aus der Differenz zur Männlichkeit begreifen lässt? Seit gestern auf meinem Schreibtisch dazu Baudrillards Theorie der Verführung (mehr dazu später). Es lässt sich nicht in Worten ausdrücken, nicht begreifen, sondern einfach nur hinnehmen, in sich aufgehen lassen, gleich einer spirituellen (schamanischen) Erfahrung. Eine herrliche Ausstellung!
Weiteres:
Interview im Deutschlandfunk
Publikation zur Ausstellung